Sie können diese E-Mail nicht lesen? Webversion öffnen

Liebe Freundinnen und Freunde des guten Wortes,
liebe Lyrikfans,

von Tag 14 bis 17 war ein bisschen der Technik-Wurm drin – einige Newsletter landeten im digitalen Nirwana! Doch zwei Informatiker haben ganze Arbeit geleistet, und seit heute scheint es wieder astrein zu laufen. Wer die genannten Ausgaben verpasst hat, kann sie hier nachlesen!

Auch zur gestrigen Folge gab es wieder feine Rückmeldungen. So schrieb Barbara Horst: "Habe mich seit Ende meines Studiums nur noch selten mit Rückert beschäftigt, aber er macht immer wieder Spaß, umso mehr, wenn man statt selber in der Masse der Texte zu kramen, alles auf dem Silbertablett serviert bekommt." Dieselbe Leserin machte mich auch auf eine kleine Unschärfe in meiner Interpretation aufmerksam (danke!): "Zur heutigen Einordnung sei der historischen Korrektheit halber angemerkt, dass es sich bei Saadi, Rumi und Hafis/Hafez um klassische persische Dichter handelt, von den genannten schrieb nur al-Hariri arabisch. Umso genialer, dass Rückert in der Lage war, aus diesen großartigen Werken zu übersetzen und nachzudichten. Inhaltlich stimme ich vollständig zu!"

Eine Leserin erkundigte sich auch, ob es in der Vorweihnachtszeit wieder Lyrik von mir gibt. Das kann ich schon jetzt bejahen! Vom 1. bis 24. Dezember wird es wieder einen Literarischen Adventskalender geben, 24 lyrische Fänge des Jahres, die allerdings nichts mit Weihnachten zu tun haben müssen.

Bis es soweit ist, haben wir noch einige Rückert-Gedichte vor uns. Diesmal wenden wir uns einer ganz besonderen Lyrikform zu, die einen tragischen biografischen Hintergrund hat!

Herzliche Grüße,
Matthias Kröner

 

Du bist ein Schatten am Tage
und in der Nacht ein Licht;
du lebst in meiner Klage
und stirbst im Herzen nicht.

Wo ich mein Zelt aufschlage,
da wohnst du bei mir dicht;
du bist mein Schatten am Tage
und in der Nacht mein Licht.

Wo ich auch nach dir frage,
find’ ich von dir Bericht,
du lebst in meiner Klage
und stirbst im Herzen nicht.

Du bist ein Schatten am Tage,
doch in der Nacht ein Licht;
du lebst in meiner Klage
und stirbst im Herzen nicht.

 

Kurz eingeordnet

Einer der Klassiker von Rückerts „Kindertodtenliedern“ (zu deren Hintergründen ich schon in Folge 7 gesprochen habe!) ist dieses Gedicht, das der weithin bekannte Schriftsteller zeitlebens nicht veröffentlicht hat; nur in Almanachen und ähnlichen Sammelwerken kamen manchmal diese Werke, die zum Besten gehören, was Rückert je geschrieben hat, in die Welt. Ob der verzweifelte Vater mit seinem Verlust allein sein wollte, ob es sich einfach nicht schickte, solche Gefühle in all ihrer Ehrlichkeit und Bedrücktheit öffentlich zu machen oder ob Rückert fürchtete, kein Publikum dafür zu finden, ist schwer zu sagen. Fakt ist, dass er die obsessiv niedergeschriebenen Trauertexte als „unsägliche Masse“ bezeichnete, sich durch die Beschäftigung mit der spanischen Literaturgeschichte eigentlich davon ablenken wollte, doch immer wieder zurückmusste – zu seinem Schmerz. Zuletzt schenkte Friedrich das Manuskript seiner Frau Luise, die es manchmal an Freunde verlieh, doch vor allem selbst daraus Trost schöpfte.
So weit, so tragisch! Doch warum ist gerade dieses Gedicht ein Klassiker? Es hängt mit der Form zusammen, die Rückert wählt: das Ghasel. Dabei handelt es sich um eine arabische Spielart der Dichtkunst, bei der immer wieder einzelne Reimworte, ja ganze Zeilen wiederholt werden. Wie in einem Gebet vergewissert sich Rückert seiner selbst und behauptet durch exzessive Wiederholungen („Schatten“, „Licht“, „Klage“, „Tage“) das Weiterleben seiner geliebten „Messerchen“ (Ernst, 5 Jahre) und „Gäbelchen“ (Luise, 3 Jahre) – in der Kunst!

 

P.S. Rückert hat Ghaselen zum ersten Mal in seinen „Östlichen Rosen“ von 1822 veröffentlicht – und wäre damit der erste Schriftsteller gewesen, der diese Form in Deutschland eingeführt hat. Wäre! Die Unzuverlässigkeit seines Verlegers Friedrich Arnold Brockhaus (der mit dem Lexikon!), der die Herausgabe des Buches immer wieder verzögerte, brachte ihn um den Ruhm, den August Graf von Platen einheimste. Der Freund und Dichterkollege veröffentlichte 1821 (!) den Band „Ghaselen“ …

P.P.S. Man mag es nicht glauben, aber sogar eine deutsche Metalband, Maroon, hat sich des Gedichts angenommen – und es vertont. 7 Minuten und 35 Sekunden dauert es und ist ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber textgetreu! Das wiederum hätte Karl Krolow gefreut, der dieses Rückertsche Ghasel als eines der „kunstvollsten“ Gedichte des 19. Jahrhunderts in deutscher Zunge pries.

 

 

 

 

P.S. Das Rückert-Projekt wird von der Stadt Schweinfurt, der Rückert-Gesellschaft e. V. und der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e. V. gefördert. Vielen Dank dafür – ohne diese Unterstützung wäre das Projekt nicht möglich!

P.P.S. Schicken Sie diesen Newsletter jederzeit an gute Freundinnen und Freunde, die Lust auf Literatur haben. Wer die Newsletter bekommen möchte, braucht mir nur eine Mailadresse zu schicken oder kann sich direkt anmelden: www.fairgefischt.de/lyrische-post.html

 

Logo Stadt Schweinfurt

 Rückert Gesellschaft

 Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e. V.

 

 
 

Matthias Kröner - Grüner Weg 44 - 23909 Ratzeburg - Tel.: 0176/32331629