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Liebe Freundinnen und Freunde des guten Wortes,
liebe Lyrikfans,

Anton G. Leitner, der Herausgeber von "Das Gedicht", der vielleicht wichtigsten Lyrikzeitschrift des Landes, schrieb mir: "Ich mag dein Rückert-Projekt sehr. Meine Frau und ich lieben Rückerts 'Kindertodtenlieder', sie gehören m. E. zum Besten, was die deutsche Lyrik je hervorgebracht hat und insofern großartig, was du da wieder aufziehst." Auch die einstige Feuilleton-Chefin der "Lübecker Nachrichten", die heute als Trauerrednerin arbeitet, ist begeistert von diesen Texten.

Darüber hinaus freut es mich immer, wenn mir Leserinnen und Leser schreiben, dass sie durch diesen Newsletter einen Zugang zu Rückert und zu Gedichten generell bekommen haben. Es ist die Schule, die uns diesen eigentlich so natürlichen Zugang verschüttet und teilweise unmöglich gemacht hat. Dabei ist ein Gedicht immer frei: Es gehört denjenigen, die es sich im besten Sinne aneignen, also mit einem offenen Geist lesen und genießen.

Dazu passt eine weitere Nachricht: "Sie schildern Rückert so lebendig, dass ich ihn am liebsten umarmen würde, so sympathisch ist er mir geworden! Jemand, der es versteht, sein Innerstes nach außen zu kehren, lyrisch zu umschreiben und den Mut hat, ein solches Gedicht zu veröffentlichen, weckt in mir die Lebensgeister!"

Heute geht es um ganz andere "Lebensgeister", von denen noch gar nicht die Rede war: vom Mensch und der Maschine.

Viel Vergnügen,
Matthias Kröner

 

Sei doch dankbar o Mensch! Vom knechtischen
Dienste der Arbeit
hat dich befreit und will dich die Maschine
befrein.
Wird umsonst dich bedienen die Dienerin?
Auch die Maschine
mußt du bedienen und wirst eine Maschine
wie sie.

 

Kurz eingeordnet

Etwa 10 Stunden verbringen wir jeden Tag vor einem Handy- oder Laptop-Bildschirm; das macht 70 Stunden pro Woche!
Das war im 19. Jahrhundert natürlich nicht so. Doch genau wie heute hat „die Maschine“ lediglich einen Teil der Tätigkeit übernommen. Man musste Hand anlegen und wurde zum Handlanger der Technik – egal, ob man es mit Dampf-, Spinn- oder Webmaschinen zu tun hatte; ab 1850 kamen Werkzeugmaschinen hinzu, die Nähmaschinen oder Fahrräder herstellten, später Automobile.
Das sarkastische „Dankesgedicht“ stammt von 1855. Friedrich Rückert lebte damals schon zurückgezogen in Neuses, doch war ein gut informierter und wacher Mensch und, noch wichtiger, ein täglicher Zeitungs- und Zeitschriftenleser. Zehn Jahre später gibt es auch Gedichte von ihm, die sich mit Eisenbahnen, Dampfschiffen, industriellen Problemen und Umweltzerstörung beschäftigen (siehe Tag 17). Dabei fällt auf, wie skeptisch Rückert all diese Neuerungen betrachtete. Er war kein glühender Fortschrittsgläubiger – und thematisierte auch die Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit, die Charlie Chaplin höchst absurd und höchst komisch in der legendären Fließband-Szene in „Moderne Zeiten“ (1936) auf die Spitze trieb.
Rückert sah diese Entwicklungen zumindest ansatzweise voraus. Er wusste, dass „die Dienerin“ nie umsonst bedient. Er verstand, dass sie uns nicht wirklich „vom knechtischen Dienste der Arbeit befreit“, sondern wir nur den Lehnsherrn gewechselt haben. Statt einem Adligen sind wir einer „Maschine“ verpflichtet und werden dadurch ein Teil von ihr …
Vermutlich würde er heute über ChatGPT und andere KI-Systeme seine Spottverse verfassen und zum Schluss kommen, dass nichts umsonst ist. Anders gesagt: Jede Maschine braucht Menschen, die ihr „nahestehen“, sie begreifen und sich lang, lang mit ihr abgeben. Wie war das noch mal mit den 10 Stunden Bildschirmzeit?

 

P.S. Dass Rückert die Probleme des industriellen Zeitalters und des Manchester-Kapitalismus nicht nur philosophisch und lyrisch anging, macht mir den Dichter noch heute sympathisch. Der Mann engagierte (!) sich auch ganz lebens- und alltagspraktisch, indem er den Notdürftigen in Neuses durch großzügige Kornspenden aushalf – und immer wieder Gedichte für Benefiz-Aktionen (z. B. für die Opfer des Hamburger Stadtbrands oder mittellose Kinder) gratis zum Abdruck freigab.

 

 

 

 

P.S. Das Rückert-Projekt wird von der Stadt Schweinfurt, der Rückert-Gesellschaft e. V. und der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e. V. gefördert. Vielen Dank dafür – ohne diese Unterstützung wäre das Projekt nicht möglich!

P.P.S. Schicken Sie diesen Newsletter jederzeit an gute Freundinnen und Freunde, die Lust auf Literatur haben. Wer die Newsletter bekommen möchte, braucht mir nur eine Mailadresse zu schicken oder kann sich direkt anmelden: www.fairgefischt.de/lyrische-post.html

 

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 Rückert Gesellschaft

 Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e. V.

 

 
 

Matthias Kröner - Grüner Weg 44 - 23909 Ratzeburg - Tel.: 0176/32331629