Liebe Freundinnen und Freunde des guten Wortes,
liebe Lyrikfans,
nachdem ich den Vorspann zum gestrigen Rückert-Gedicht geschrieben hatte, überschlugen sich die Ereignisse. Gerade war ich noch entsetzt wegen der amerikanischen Wahl, da stand plötzlich die Vertrauensfrage in Deutschland an (mit sehr wahrscheinlichen Neuwahlen). Dazu passt eine Nachricht, die ich heute zum "Schnelligkeits"-Gedicht bekommen habe. Angelika von Aufseß hat sie verfasst: "Vielleicht gab es auch zu Rückerts Zeit Menschen, die unter Stress litten. Seine siebenundzwanzig Leben, die er in eines gepresst hat, lassen mich sprachlos zurück und befeuern die inneren Antreiber. Schneller, perfekter, stärker, belastbarer …, auf jeden Fall besser als gut genug. Zum Glück kommt mir manchmal die 'Entdeckung der Langsamkeit' von Sten Nadolny wieder in den Sinn. Der Schnelle ist – nach meiner Erinnerung – vom Mast gefallen. Der langsame John hat letztlich gewonnen."
Es ist rund 30 Jahre her, dass ich diesen Roman mit viel Freude und Genuss gelesen habe. Vielleicht sollte ich ihn wieder einmal hervorziehen, in diesen unglaublichen Umbruchzeiten!
Noch eine Mail möchte ich zitieren. Sie bezieht sich auf das dritte "Kindertodtenlied" an Tag 25. "Wow, so berührend und klar, dass einem fast die Tränen kommen. Danke, für die schönen Einblicke ins Wunderland der Lyrik!"
Ich kann jetzt schon sagen, ich werde Ihre schönen Antworten vermissen. Denn: Beim Rückert-Projekt nähern wir uns so langsam, aber sicher dem Ende. Dazu passt, dass sich auch der Lyriker seine ganz eigenen Gedanken zum Unvermeidlichen gemacht hat.
Viel Vergnügen,
Matthias Kröner
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Als nach schwülerem Tag lau wehten die Lüfte des Abends,
dacht ich: wie kühl muß seyn unter dem Rasen zu ruhn.
Nun fegt heulender Sturm den gefrorenen Boden, da denk ich:
O wie ruht es sich warm unter den Federn im Bett.
Kurz eingeordnet
Immer wenn ich dieses Gedicht lese, muss ich an meine Zivildienstzeit denken. Daran, wie ich bei einer 92-Jährigen tätig war, die sehr fit für ihr Alter gewesen ist und viel zu erzählen hatte. Dabei strahlte sie eine Liebenswürdigkeit aus, die in den 13 Monaten meiner „Wehrdienstersatzzeit“ doch sehr besonders war, obgleich sich die meisten älteren Damen und Herren aufgeschlossen und freundlich zeigten! Im Regelfall wollten sie neben den Einkäufen, die ich zu erledigen hatte, und den Haushaltsdingen (Fenster putzen, Klo säubern, staubsaugen) stets eine halbe Stunde mit mir reden, was ich immer bereichernd und auch berührend fand: die Sehnsucht des Menschen nach Austausch. Besonders die 92-Jährige fragte mich immer, wie es mir gehe, wir redeten miteinander, ich erzählte ihr sogar von meiner damaligen Freundin, und dann sagte sie oft: „Ein bisschen leben möchte ich noch. Dort unten ist es so kalt!“
Friedrich Rückert bringt genau diese Aussage auf seine unnachahmliche Weise zu Papier, mit Witz, mit ein bisschen schwarzem Humor, mit Verve, mit Lebensenergie. Dabei war sein Tod am 31. Januar 1866 um 10.45 Uhr gar nicht so leicht. Er hatte Darmkrebs, wohl schon 1863 oder 1864. Zu einer Zeit, als es noch keine Medikamente gab, die die Krankheit zumindest aufhielten. Im Oktober 1865 stellten sich Fieber und Schüttelfrost und andere Schwächezustände ein. Was ihm sicherlich half, war seine christliche Überzeugung, das jenseitige Leben, die Auferstehung – und die andauernde Produktion, die bis kurz vor seinem Ableben anhielt! Nicht nur dieses schöne kleine Gedicht, das dem Tod ein Schnippchen schlägt und man mit „Lob der Bettdecke“ betiteln könnte, zeugt davon.
Der totkranke Rückert schreibt außerdem: „Ich lege mich ins Grab, / den müden Pilgerstab / des Lebens leg’ ich ab: / Ich lege mich ins Grab. // Vorm Grab ich nicht erschrecke, / behaglich auf der Decke / des Soffa’s ich mich strecke: / Vorm Grab ich nicht erschrecke. // Es ist nur Schlaf allein; / doch tritt sein Bruder ein, / soll er willkommen seyn: / Es ist nur Schlaf allein.“
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