Das Kapital und ich

Irgendwann werde auch ich ein Zeitzeuge.
Ich werde einen alten Pullunder tragen, in den aufgeklickten Ordner 2023 eines uralten Laptops deuten und Geschichten aus meiner Jugend aufzählen. – Ob es wirklich so ist, ob sie einem entgleitet, die Wirklichkeit, ob sie sich davonstiehlt wie Kaufhausdieb, der sich gut getarnt hat? –
Die Maske hat meine Falten abgeschminkt, der Moderator stellt mir Fragen wie einem Kleinkind, die Kabelträger werden einige Topfpflanzen in meinem Haus zerstören und Veronika, die langjährige Geliebte, die ebenfalls Essen auf Rädern von ihren Enkelkindern als Geburtstagsgeschenk bekommen hat, wird meine Linke halten und betroffen in die Augen der Kamera blicken. Manchmal schnappt sie dann wie ein Fisch, doch verstummt wie der Musiker unserer Jugend, der sich eine Schrotflinte in den Kopf gesteckt hat: ein Freiticket ins Nirvana.
Ich werde Tee trinken – Koffein ließe mich zu markig von meiner Zeit erzählen –, gewichtig die Stirne runzeln, falsche Adjektive verwenden, über die ständige Erreichbarkeit, den aus den Fugen geratenen Kapitalismus herziehen, ich Kind der Wirtschaft, Ex-Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank.
Sie werden mich ausleuchten mit ihren Strahlern, die Schaulustigen, die investigativen Medienmenschen; ich werde den Zeigefinger in die Kamera strecken und unter Scham gestehen, dass ich damals nicht in der Lage gewesen war, etwas dagegen zu unternehmen.