Liebe Freundinnen und Freunde des guten Wortes,
liebe Lyrikfans,
gestern hat sich der fränkische Mundartautor Helmut Haberkamm gemeldet, zum "Kafee"-Gedicht: "Rückert schreibt bezeichnenderweise Kafee, weil er ihn fränkisch KaFEE gesprochen hat und nicht KAFFe wie im Standarddeutschen meist. Die Betonung auf der zweiten Silbe mit dem langen Vokal EE zeigt den französischen Einfluss auf den Dialekt. Daher die Lautung und Rückerts Schreibung." Spannend, zumal man seine Herkunft weder verleugnen sollte noch kann!
Gudrun Vollmuth, die 25 Jahre lang die Gemeindebücherei Wendelstein geleitet und viele Schreibwerkstätten gegeben hat, schrieb kurz und knackig: "Wie schön ist der Morgen mit dieser kleinen Freude, nicht der Kaffee, ich trinke grünen Tee, sondern der literarische Genuss." Dazu passt eine Nachricht von Kirsten Baumhöver: "Vielen Dank für die von Ihnen ausgewählten Rückert-Gedichte! Ich hätte nicht gedacht, dass ich nach diesem Dichter regelrecht süchtig werden würde!"
Zuletzt soll es heute Marc Jandl sein, mein ältester und bester Freund, der das Rückert-Projekt aus Spanien mitverfolgt und sich zum Zustand des Welt-abhanden-gekommen-Seins einige bereichernde Gedanken gemacht hat. "Die Energie folgt der Aufmerksamkeit! Wenn man seine Aufmerksamkeit zu viel nach außen richtet, gerät man ins energetische Minus. Wer sich im energetischen Minus befindet, fühlt sich schwach und bedroht. Wer sich schwach und bedroht fühlt, richtet seine Aufmerksamkeit verstärkt nach außen! Ein Teufelskreis. Wer seine Aufmerksamkeit auf 'den eigenen Himmel' lenkt, der schenkt sich selbst Energie. Mit 'dem eigenen Himmel' könnte sogar gemeint sein, dass jeder Mensch bzw. jedes Lebewesen den Himmel in sich selbst trägt, wie es in vielen spirituellen Lehren heißt."
Heute geht es um ein einigermaßen verwandtes Thema, das uns alle täglich betrifft: um Fremd- und Selbstwahrnehmung.
Viel Vergnügen,
Matthias Kröner
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Wie du die Dinge siehst, so sind die Dinge nicht;
wie du die Dinge siehst, so sind die Dinge dir.
Und wenn sie anders nun mir fallen ins Gesicht,
ich laße dir dein Sehn, daß du das meine mir,
nicht nüchtern schelt’ ich dich,
so schilt nicht Schwärmer mich;
die Welt ist, was sie ist, und wir sind du und ich.
Kurz eingeordnet
Den roten Faden der (Welt-)Geschichte, den gibt es nicht! Wir erschaffen ihn rückblickend, indem wir logische Bruchstellen und widersprüchliche Aussagen zur Seite schieben – und uns auf Tendenzen und Zeitströmungen stürzen. Es geht nicht anders: Die Wirklichkeit ist zu komplex, um sie allumfassend zu schildern. Wir müssen zuspitzen, ausdünnen, weglassen, streichen. Sonst können wir keine Sätze schreiben, keine Gedanken einfangen. Erkenntnisse wären nicht möglich!
Das gilt auch für die eigene Lebensgeschichte. Wir erzählen sie immer anders: lustig, traurig, tragisch, verzweifelt, trotzig. Je nachdem, wen wir vor uns haben! Auch uns selbst erzählen wir sie immer neu, abhängig von der Stimmung, in der wir stecken und was wir mit dieser unserer Lebensfiktion anstellen wollen.
Klingt zu hochgestochen? Das ist es nicht! Es geht in diesen enggeführten sieben Versen einzig und allein darum, dass Subjektivität Wahrheit ist, wie schon Kierkegaard wusste. Jede und jeder glaubt, was er oder sie sehen will! Argumente lassen sich leicht für die eine oder andere Version finden.
Doch jetzt kommt der Rückert-Clou, den wir alle so bitter nötig haben, da wir doch alle denken, es ein klein bisschen besser als alle anderen zu wissen (was übrigens ein psychologisches Phänomen ist, der Lake-Wobegon-Effekt) … Der Rückert-Clou besteht darin, sich selbst und die Meinung der anderen stehen zu lassen und womöglich eine Schnittmenge oder zumindest ein „Einigen wir uns darauf, dass wir uns nicht einigen!“ zu finden.
Warum – verflucht – fällt uns allen das derzeit so wahnsinnig schwer?!
P.S. Eine Grenze ist natürlich erreicht, wenn Gesetze gebrochen werden oder Gewalt ausgeübt wird. Doch wir verhaken uns ja alle schon in der Frage, ob wir gendern sollen oder nicht, während andere diese Schwäche nutzen und die ohnehin zerbrechliche Gemeinschaft dauerhaft zerstören wollen.
P.P.S. Wie sehr sich Rückert selbst an die Einsichten seines menschenfreundlichen, zugewandten Gedichts gehalten hat, zeigt ein Zitat des Sprachwissenschaftlers Max Müller, einst ein Student des Autors: „Rückert war ein Gelehrter, mit dem sich jede Frage freimütig besprechen ließ. War man anderer Meinung wie er, so wurde er doch nie feindselig, wenn man ihm widersprach. Und konnten wir einmal gar nicht zu einer Einigung gelangen, so pflegte er zu sagen: ‚Wir wollen das jetzt lassen und es ein anderes Mal wieder vornehmen.‘“
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