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Liebe Freundinnen und Freunde des guten Wortes, liebe Lyrikfans,

Wanted – 44 Gedichte nach Wunsch ist das bisher anspruchsvollste Projekt der Lyrischen Post. Warum? Weil ich Gedichte zu den Themenideen der Leserinnen und Leser schreibe, zu Ideen, die Ihnen besonders am Herzen liegen.
Sehr viele Wünsche gingen ein. Oft war ich selbst erstaunt – im besten Sinne des Wortes –, was mich angesprochen hat und wozu ich unbedingt etwas schreiben wollte. Vom 18. November bis 31. Dezember erhalten Sie täglich eines dieser lyrischen Stücke. Viel Freude damit!

In den Ausgaben 10, 20, 30 und 40 kommen Sie zum Zug! Ich suche Gedichte von Ihnen zu vier Themen, die mir gut gefallen: »Demokratie«, »Kühlschrank« und »Bücher« (zu »Bäume« kamen schon viele Gedichte).

Nun aber – Vorhang auf für »Wanted«! Das erste Gedicht entstand nach einem Wunsch von Barbara Mosig: »Ein Hund und sein Frauchen altern gemeinsam«.

Herzliche Grüße,
Matthias Kröner

P.S. Erneut ist es der Kulturfunke*, der dieses Projekt sponsert. Vielen Dank dafür – ohne diese Unterstützung wäre das Projekt nicht möglich. Da nur ein Teil der Kosten durch den Kulturfunken abgedeckt ist, würde ich mich über eine kleine Spende sehr freuen.

 

Der Hund (oder: Kurze Runden)

Manchmal fragte sie sich,
ob der Hund das eigentlich wollte:
mit ihr alt werden.
Sie konnte sich diese Frage nie beantworten.
Sie ging mit ihm Gassi.
Dreimal am Tag. Doch die Strecken,
sie wurden kürzer. Sie fragte sich, ob der Hund das gut fand.
Sie wäre gerne die langen Wege gegangen,
stundenlang mit ihm, der ihr traute,
doch das ging nicht. Selbst der Arzt hatte gesagt,
dass das nicht mehr ging. –
So kamen sie immer früher an.
Spät fiel ihr auf, dass der Hund auch grau wurde.
Wesen, die man liebt, dachte sie,
sieht man so, wie man sie kennenlernt.
Dann hinkte der Hund. Zuletzt wollte er nicht mehr
aufstehen. Schließlich brachte sie ihn
zum Arzt. Die Schmerzen in der Nacht
ließen sich nicht mehr lindern. – Sie ging noch immer
dieselben Strecken.
Immer kürzer wurden sie.
Immer kürzer.
Doch manchmal, des Nachts, hörte sie den Hund bellen.
Er bellte wie damals,
als er ihr als unvermittelbar
im Tierheim angeboten wurde. Die Mitarbeiter grinsten,
weil das Vieh endlich weg war.
Sie trainierte mit ihm. Mit Gummistiefeln,
in die er beißen konnte. Sie gab ihm Sicherheit,
die Sicherheit, die er niemals hatte. Er, aufgewachsen
bei einem Alki, der ihn schlug. Ganz zuletzt,
bevor sie selbst einschlief, in einer der Nächte,
in der der Hund wieder bellte, begriff sie,
dass er es war, der Hund, der ihr Sicherheit gegeben hatte,
ihr, dem Heimkind,
und der ihr zeigte, was Vertrauen war
und wie man weiterleben konnte, bis zuletzt,
obwohl die Wege kürzer wurden.
Immer kürzer wurden sie.
Die Gummistiefel standen zerfetzt neben dem Bett.
Und der Hund bellte sie
von einem Raum in den andern.

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Matthias Kröner - Grüner Weg 44 - 23909 Ratzeburg - Tel.: 0176/32331629