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Liebe Freundinnen und Freunde des guten Wortes,
liebe Lyrikfans,

als Student vor gut 20 Jahren las ich die "Ars Poetica" (= "Die Dichtkunst") des Horaz; ich gestehe, auf Deutsch, nicht auf Latein … Darin sprach der römische Meisterdichter, der eigentlich Quintus Horatius Flaccus (65 v. Chr. bis 8 v. Chr.) hieß und sich selbst als "wohlgenährt", "von kurzer Statur", "frühzeitig ergraut" und "schnell zu verärgern" beschrieb, was Literatur soll: "prodesse et delectare", also "nützen und erfreuen" – oder etwas freier gesagt: lehren und unterhalten. Dass offenbar genau dies das Rückert-Projekt tut, wie immer wieder Leserinnen und Leser schreiben (danke!), hätte das "Schlappohr" ("Flaccus") sicher erfreut; mich freut es auch!

Zum gestrigen "Chemie"-Gedicht und dessen Jetztzeit-Bezug gab es spannende Rückmeldungen, zum Beispiel diese: "Erschreckend ist auch hier die Aktualität! Das Gedicht führt einem vor Augen, wann die Industrialisierung und die damit verbundene Umweltverschmutzung bereits begonnen haben. Unglaublich. Die Euphorie damals – und die Blindheit heute. Gerne würde ich Ihrem Kommentar bei der Einordnung dieses zeit- und kapitalismuskritischen Gedichtes mit brillanter Argumentation widersprechen – Touché! – aber ich kann Ihnen leider nur zustimmen."

Ein drittes Zitat soll es heute noch sein, es stammt von Petra Dau: "Ich bin begeistert von Ihrem Projekt und von Rückert, von dem ich außer seinen Namen nichts kannte. Wenn ich mir ein Buch mit Lyrik kaufe, mache ich den Fehler, zu viel auf einmal darin zu lesen und überfordere mich und werde den Versen nicht gerecht. Ihre tägliche Rückert-Post lässt mir Raum, über die Gedichte nachzudenken. Das tut gut. Ihre Einordnungen und auch die Interpretationen anderer Leser sind eine tolle Möglichkeit neue Sichtweisen zu entwickeln."

Mehr kann man wirklich nicht verlangen. Wenden wir uns jetzt einer neuen Folge zu!

Viel Vergnügen,
Matthias Kröner

 

Koran, Sure 112

Sprich: Gott ist Einer,
ein ewig reiner,
hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner,
und nicht ihm gleich ist einer.

Übersetzung: Friedrich Rückert

 

Kurz eingeordnet

Der Koran ist die Heilige Schrift es Islam – was vermutlich alle wissen, die diesem Newsletter folgen. Trotzdem sei es hier noch einmal betont, denn: wie jedes Buch dieser Art hat auch der Koran (oder al-Qur'ān) seine ganz eigene Besonderheit. Er besteht nämlich aus 114 Suren (= Kapitel) und ist in Reimprosa abgefasst! Friedrich Rückert war der Erste, der diese Eigenheit ehrte und mitübertrug – ins Deutsche. Dadurch schaffte er es, den Klang des Originals aufzurufen und tiefer in die islamische Kultur einzutauchen als andere fremdsprachige Intellektuelle vor ihm.
Doch wie kam Rückert eigentlich zur Übersetzung? Alles begann, wie so oft, mit einer Begegnung. Während einer 19 Monate andauernden Reise gelangte der junge Schriftsteller als 30-Jähriger auch nach Wien; dort traf er Joseph von Hammer-Purgstall (1774–1856). Der Pionier der Osmanistik und Orientalistik entfachte in Rückert die Liebe zu morgenländischen Sprachen – und brachte ihm Grundkenntnisse in Persisch, Türkisch und Arabisch bei. Acht Jahre später, 1826, war Rückert einer der führenden Vertreter der Orientalistik in Deutschland und „ordentlicher Professor“ der Uni Erlangen! Damals war das Fach (das heute meist Islamwissenschaft heißt) eine Neuheit, und die gebildete Schicht der Meinung – durchaus zu Recht, wie ich finde –, dass die alten arabischen Texte der Dichter al-Hariri (1054–1122), Rumi (1207–1273), Saadi (1210–1292) und Hafis (um 1315/25 bis um 1390) eine ähnliche Schlagkraft und Wichtigkeit hätten wie die antiken aus dem alten Rom und dem noch älteren Griechenland.
Zurück zum Koran: Auch wenn Friedrich Rückert immer nur Teile dieser Heiligen Schrift übertragen hat (und seine Nachdichtungen erst posthum erschienen sind), zeigen jene vier Verse eine Meisterschaft, die bis heute andauert und nichts von ihrer magischen Sprachkraft verloren hat – gleichgültig, ob man glaubt oder nicht. „Sprich: Gott ist Einer, / ein ewig reiner, / hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner, / und nicht ihm gleich ist einer.“

 

 

 

 

P.S. Das Rückert-Projekt wird von der Stadt Schweinfurt, der Rückert-Gesellschaft e. V. und der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e. V. gefördert. Vielen Dank dafür – ohne diese Unterstützung wäre das Projekt nicht möglich!

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 Rückert Gesellschaft

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