Liebe Freundinnen und Freunde des guten Wortes,
liebe Lyrikfans,
gestern erreichte mich eine Mail, die mich ganz besonders gefreut hat – und, so weit lehne ich mich aus dem Fenster, auch Rückert gefreut hätte: "Der WEISE Vierzeiler von heute hat es mir sehr angetan. Vom Irrtum lernen, nicht jeder Falschmeldung nachzulaufen, ist heute bei dem Rechtsruck, der durch die Gesellschaft geht, und der die sogenannte Wahrheit gepachtet hat, wichtiger denn je. Danke für Deine Einordnung!"
Außerdem sind noch zwei besondere Fragen zum "Technik"-Gedicht zu zitieren! "Merken wir, wenn eine KI unser Lehnsherr wird, sie uns steuert, wir zu willfährigen Vasallen werden? Wird sie so 'schlau' sein und zu verhindern wissen, dass wir es merken?"
Tja, das kann nur die Zukunft zeigen! Damit wir über solchen Fragen nicht trübsinnig werden, darf es heute einmal ein herrlich-flapsiges Gedicht des Meisters sein.
Viel Vergnügen,
Matthias Kröner
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Ich weiß nicht, was dich anficht,
daß alles dich so ansticht
und widerwärtig anspricht:
die Mücke, die dich ansummt,
die Bremse, die dich anbrummt,
die Hummel, die dich anhummt.
Der Kater, der dich anschnurrt,
der Köter, der dich anknurrt,
der Puter, der dich anpurrt; …
ja selbst
die Liebste, die dich anspricht …
Kurz eingeordnet
Es sind nicht nur die hohen Töne, die Rückert beherrscht. Ganz im Gegenteil. In den annähernd 25.000 Gedichten ist selbstverständlich Missglücktes dabei (wie in allen Gesamtwerken) – und Humorvolles! Auch geht es dem zwei Meter großen Meister nicht immer nur darum, die Tiefe des Menschengeschlechts auszuloten. Manchmal macht sich der täglich dichtende Rückert, der das Reimen geradezu wie das Atmen braucht (und sich zwischendurch die Pseudonyme „Reimer“ und „Reimar“ gibt), auch einen großen Spaß daraus, das Genervt-Sein, die schlechte Laune, das Mit-dem-falschen-Fuß-aufgestanden-Sein auf den witzigen Punkt zu bringen.
Das Verrückte dabei (das auch zwei Jahrhunderte später noch immer zutrifft): Oft weiß man gar nicht, was es ist, das einen – gerade heute – dermaßen auf den Geist und die Nerven fällt. Was genau ist die Laus, die mir über die Leber läuft? Was will sie? Wieso ist sie da? Warum haut sie nicht ab? Hier sind es „Mücke“, „Bremse“ und „Hummel“, „Kater“, „Köter“ und „Puter“, die sich feindselig stellen. Vermutlich deshalb, weil man selbst diese verdammten Mikroaggressionen in sich trägt. Getreu dem Motto: Wie man in den Wald hineinschreit, schreit es zurück …
Dass einem zuletzt sogar der liebste Mensch – in einer derartigen Stimmung! – gehörig auf den Wecker geht, ist lustig, sehr wahr und herrlich aus dem Alltag gegriffen. Ein guter Dichter kann eben sowas auch!
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