Gedicht 1
Schlüsselblume
Sie sah ihn immer wieder auf dem Verkehrskreisel.
Wie er Pflanzen schleppte, Erde.
Wie er sich hinkniete. Er grub Löcher,
und manchmal schien es ihr, als schaute er zu ihr hin.
In ihren Wagen.
Sie war beinahe verlangt, zu winken.
Doch das wäre seltsam gewesen.
Und aufdringlich.
Und unangebracht.
Was, wenn er die Stirne krauszog?
Was, wenn er zurückwinkte?
Sie fuhr diese Strecke oft.
Was, wenn sich wirklich etwas ergab?
Er trug die Pflanzen wie Kleinkinder.
Er setzte die Blumen und Bäumchen ein.
Düngte sie. Goss sie.
Sie wusste: Ich muss an diesem Verkehrskreisel vorbei.
Alles andere wäre ein Umweg.
Dann, als ihr Mann auf Geschäftsreise war,
parkte sie den Wagen in einer Seitenstraße.
Sie nahm allen Mut zusammen, schritt über die runde Fahrbahn,
betrat das Innenleben des Kreisels,
zog eine kleine Schaufel und eine Schlüsselblume
aus ihrem Rucksack –
und pflanzte los.
Gedicht 2
Endgegner
Warum haben wir nur so schreckliche Angst
davor,
dass uns das Bauchgefühl
trügen könnte?
Weil es uns schon betrogen hat!
Das Bauchgefühl will.
Der Verstand muss.
Der Bauchverstand weiß nicht weiter.
Das Verstandesgefühl auch nicht.
Also bleibt uns nur das:
Bauchgefühl.
Und die Gewissheit, dass der Verstand
nur noch mehr betrügt.