Liebe Freundinnen und Freunde des guten Wortes, liebe Lyrikfans,
als Auftakt zu drei Newsletterprojekten, die in diesem Herbst und Winter ihre Uraufführung haben, stand die Idee, den guten alten Zeitungsroman neu zu beleben.
Früher, vor vielleicht 20 Jahren, gab es solche Fortsetzungsgeschichten in zahlreichen Tageszeitungen.
Dies ist nun via Newsletter wieder möglich!
Die Geschichte – "Der Trichter und sein Henker" – habe ich 2005 geschrieben, also vor knapp 20 Jahren. 2008 erschien sie im Wunderwaldverlag als Hörbuch. Ich habe lange überlegt, ob ich sie neu einsprechen und die Stellen verändern soll, die sozusagen aus der Zeit gefallen sind.
Die Dresdner Bank gibt es heute nicht mehr. Heute geht niemand mehr in ein Internetcafé; schlicht weil wir alle Smartphones haben. Man verschickt keine SMS mehr, und wenn man jemand auf dem Handy nicht gleich erreicht, hören wir sofort die Mailbox, keine Ansage, dass die Person gerade nicht "available" sei.
Schließlich habe ich mich für genau diese Fassung entschieden. Weil sie
zum Inhalt passt. Zu einem einstigen Nürnberger Schriftsteller, der nicht in Vergessenheit geraten will …
Somit sage ich: Viel Freude mit meiner Novelle über einen Dichter und einen Trichter – und einen Bankangestellten, der in höchste Bedrängnis gerät!
Ich bedanke mich bei den drei Kulturämtern der Städte Nürnberg, Erlangen und Fürth für die Förderung dieses Projekts – und würde mich sehr freuen, wenn Sie meine Arbeit mit einer kleinen Spende für die Hutkasse unterstützten.
Wenn Sie das möchten (und es sich leisten können), ist dies via PayPal möglich (Danke!): matthias.kroener@gmx.de.
Nun aber – Vorhang auf für den vierten Teil der Lese- und Hörfassung von "Der Trichter und sein Henker"!
Herzliche Grüße
Matthias Kröner
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Der Trichter und sein Henker
Teil 4 von 9
In der Wohnung fühlte er sich wie ein Hotelgast auf einer Durchreise. Mit dem Unterschied, dass das vorübergehende Leben in einem Hotel meistens spannend ist. Man schaut in die Schränke und Nachttischkästchen, man macht sich über die merkwürdigen Bilder lustig und genießt den Ausblick auf einen Parkplatz. Hier, bei sich, in der Wohnung, in der er seit über drei Jahren lebte, die sein Rückzug war, wenn die Welt sich sträubte, kam er noch nicht zur Ruhe.
Ferdinand riss die Balkontüre auf und sog die Luft gierig ein. Sie war winterkalt und brannte in seinen Lungen; sie lenkte ihn von sich selber ab.
Hoch am Himmel, neben dem alten Mond, der schüchtern über der Stadt erschienen war, schwammen gestorbene Walfischknochen. An manchen Stellen waren diese Wolken aufgerissen; es sah so aus, als hinge das Fleisch hervor, als wäre es auf eine beängstigende Art zerzaust.
ICH KANN DIESE BILDER NICHT MEHR ERTRAGEN!
Ferdinand konzentrierte sich auf die Aussicht. Obwohl er bei Schuckert wohnte, einer Baugenossenschaft, die auf Praktikabilität getrimmt war, war die Lage seines Apartments großartig. Nicht nur, dass er im Zentrum von Nürnberg lebte, in einer Fünfminutendistanz zum Hauptmarkt – Ferdinand konnte auf die Barockgärten von Johannis sehen. Dort unten hatte der Mensch ein kompliziertes Experiment gewonnen. Genau wie in Versailles war der Sieg über die Natur geglückt. Zwischen den angelegten Wegen, nach Hufeisenform geöffnet, den gezirkelten Rasenflächen, dem Brunnen kurz vor dem letzten Haus, einem Lusthaus, das die Stadtführer als „Salettl“ bezeichneten, standen pausbackig geformte Figuren, die nach den Vorbildern berüchtigter Nürnberger Originale gestaltet waren. Doch heute verwirrten ihn die Gestalten; er konnte sie nicht bewundern, es verstörte ihn, dass gerade jenen, den Außenseitern einer Gesellschaft, die weit entfernt lag, den an den Pranger der Kinderverse Gestellten, den Bespuckten, Getretenen, den Gnomen, eine Unsterblichkeit in einem Stein gelungen war, nach der mancher Pfeffersack so verzweifelt und aussichtslos, sogar unter Einsatz eines Vermögens, geschielt hatte. – Obgleich Ferdinand seit seiner Teenagerzeit nicht mehr rauchte, tastete er die Taschen nach Zigaretten ab.
Vielleicht war es das Beste, wenn er jetzt schlafen ging, sich wegträumte aus einer Realität, die ihm sichtlich zusetzte. Doch unter der Decke war es nur heiß und stickig; außerdem zappelten seine Beine. Vorsichtig horchte Ferdinand in sich hinein und beschloss, seinem Magen einen Gefallen zu tun.
Wie lange war er eigentlich ohne Essen ausgekommen?
Ferdinand ging in die Küche und hackte Zwiebeln. Er stellte einen Topf mit Wasser auf, suchte nach einer Tomatensoße, nach Peperoni und Putenstreifen. Doch da war es wieder: dieses inwendige Aufleuchten von Figuren, von Stimmungen, von sich selbst genügender, eruptiv hervortretender Materie, die auf einem Niederschlag mittels Worten hoffte, auf erkaltete Lavaworte, die nur im Papier erstarrten. – Ich will mich leerschreiben, dachte er und jagte zu seinem Schreibtisch.
Diesmal war die Gerätschaft in Griffnähe. Auf einen Block des Bankinstituts notierte er: „Es sind die kahlen Reben nun aller Zier beraubt / daß Feld kan nichts mehr geben / als Köhl und Krautehaubt: Es bricht der trübe Regen / mit starcker Trifft herein / man spühret aller Wegen den schwachen Sonnen Schein.“
War das gut? Konnte er darauf bauen? Waren diese Verse ein Sack Zement, mit dem man ein Haus errichten konnte?
Neue Sätze strömten durch seinen Kopf. Ferdinand musste ein Netz auswerfen, er musste sie bannen mit Stift und Zettel. „Die reiffen Früchte fallen / wann man sie nicht nimmt ab: die alten Menschen wallen / hin zu den todten Grab. Daß / was hat zugenommen / bis auf gewiesse Zeit / muß zu dem Ende kommen / in dieser Eitelkeit.“
Ferdinand stutzte. – Woher kamen nur diese Worte? Als ob sie jemand aus einem luftleeren Raum in meinen Kopf gepflanzt hätte. Als säße ein Unbekannter auf meiner Schulter, der mir die idealen Formulierungen in meine Ohren flüstert. – Sicher, Ferdinand hatte diese Beobachtungen auch gemacht, wenn er mit Mareike eine Herbstwanderung in der Fränkischen Schweiz unternommen hatte. Doch weshalb spreche ich von einer Zeit, die ich gar nicht kenne? Wieso beschäftige ich mich auf einmal mit meinem Tod? Und warum ist dieser Tod so sinnlich?
Erst jetzt stieg ihm verbrannter Geruch in die Nase. Mit einem Kugelschreiber bewaffnet, rannte er in die Küche. Ratlos starrte er in den großen Topf, in dem sich die Tomatensoße zu einem schwärzlichen Brei verwandelt hatte.
Ferdinand bestellte Pizza bei einem Lieferservice, köpfte ein Bier und legte seinen Lieblingsfilm in den DVD-Player. Doch zum ersten Mal fand er den Streifen öde! Bruce Willis nervte ihn; das vordergründig Brutale war viel zu – vordergründig.
„Stirb langsam“, murmelte er, „was für ein dummer Film!“
Vergeblich suchte er in den Extras nach einer Sequenz, die er noch nicht gesehen hatte. Ferdinand konnte nicht einfach dasitzen, die Abenteuer des John McClane verfolgen und – glücklich sein. Ferdinand fühlte sich genau wie der Cop im Hochhaus, mit dem Unterschied, dass seine Abenteuer in seiner Psyche, nicht zwischen Büroräumen, Heizungskellern und kahlen Wänden, stattfanden. Als sich der Bulle zur Beruhigung eine ehrliche Zigarette ansteckte, suchte Ferdinand seine Geldbörse und fütterte einen Automaten im nächsten China-Imbiss.
Als er zurückkam, stand der Italiener vom Lieferservice vor seiner Wohnungstür. Ferdinand gab ihm Trinkgeld und packte sich die Pizza, direkt aus dem Warmhaltekarton hinter die Kiemen. Dann versuchte er mehrmals Mareike anzurufen. Bei Greiffenberg nahm jedoch niemand ab.
Er steckte sich eine Kippe an, schluckte den beißenden Rauch hinunter und schüttete einen Obstler nach. Er trank einen zweiten, einen dritten und einen vierten.
Dann presse er die Flasche an seine Lippen.
FORTSETZUNG FOLGT!
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